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Die Filmdeutung als Weg zum Selbst
Wie bei kaum einer anderen Kunstform verbergen sich gerade im (Spiel-) Film ungeahnte Reichtümer der Erkenntnis:
Er spricht uns, mit nahezu allen Sinnen gleichzeitig, im Kopf und im Herzen an, und weil – vom Drehbuch bis zum Schnitt –
so viele Menschen mit unterschiedlichsten Ausdrucksweisen daran beteiligt sind, gehen auch ebenso vielfältige Botschaften
in ihn ein, die zudem noch jeder Betrachter mit „eigenen Augen“ entziffert.
Die komplexe Filmsprache erfordert eine ganz besondere Art der Aufmerksamkeit, aber wenn wir unter ihrer Oberfläche zu lesen
lernen, stoßen wir überall auf Spuren der menschlichen Sehnsucht nach Sinn und Transzendenz, und wir erkennen in den Geschichten
und Personen auf der Leinwand das eigene Schicksal wieder.
Durch die auf verschiedenen Ebenen gleichzeitig - körperlich, seelisch und geistig - einsetzenden Identifikations- und
Übertragungsprozesse bieten sich vielfältigste Ansätze und Perspektiven für einen existenzerhellenden oder psychotherapeutischen
Zugang - je nach Interesse oder Symptomatik eines Menschen.
Der Betrachter lernt beiläufig, und zugleich durch seine aktiv gelenkte und empathisch beteiligte Aufmerksamkeit gegenüber der
Filmgeschichte, die eigene Wirklichkeit bewußt und verändert wahrzunehmen. Dadurch wird er womöglich einen neuen Zugang zur
eigenen Biographie und den problematischen Situationen seiner Existenz erhalten, die in der Reflexion und im Gespräch über die
Filminszenierung ebenso neue Perspektiven für eine therapeutische Intervention eröffnen können.
Psychoanlyse und Film
1895 zeigten die Gebrüder Lumière in Paris den ersten Stummfilm. Im selben Jahr
begründete Sigmund Freud in Wien mit den „Studien über die Hysterie“ die
Psychoanalyse, und fünf Jahre später erschien sein großes theoretisches Werk
„Die Traumdeutung“.
Sowohl Traum als auch Film leben vor allem von der Bildsprache. Sie ist den
Gefühlen, den Phantasien, dem Unbewussten näher als das gesprochene Wort. Im
Traum wie im Film sind die üblichen Gesetze von Raum, Zeit und logischer
Darstellung aufgehoben. Alles ist möglich: Schnitt, Umkehrung, Verschiebung,
Verdichtung, Tempowechsel. Das Unbewusste kennt keine Zeit.
Traum und Film sind schöpferische Leistungen, die bewegen, beglücken oder
verstören. Es sind die großen Menschheitsthemen, die Filmschaffende und Publikum
in ihren Bann ziehen: Liebe und Hass, Schuld und Sühne, Glück und Trauer, Macht
und Ohnmacht, Sehnsucht und Leidenschaft.
In der Psychoanalyse gilt die Traumdeutung als der Königsweg zum Unbewussten.
Der psychoanalytische Blick auf den Film sucht den verborgenen Sinn – den Film
hinter dem Film – und eröffnet so zusätzliche Möglichkeiten der Interpretation.
(© Cinépassion)
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